Ein nationaler Eisenbahnbetreiber stand vor einer großen Herausforderung, als aufgrund einer vorübergehenden Fahrplanänderung an einem bestimmten Bahnhof eine starke Überlastung der Bahnsteige prognostiziert wurde. Weil dies zu potenziell gefährlichen Situationen für die Fahrgäste führen könnte beschloss man, neben den Lokführern spezialisiertes Ordnungsdienst-Personal einzustellen. Diese wurden aus dem Sicherheits- und Servicepersonal anderer Verkehrsunternehmen rekrutiert und hatten darum schon relevante Erfahrung, allerdings nicht in allen Aufgaben, die auf sie zukommen sollten.
Wie könnten in kurzer Zeit etwa 120 Personen auf diese spezifische Rolle vorbereitet werden? Die Risiken waren so groß und der Zeitrahmen so eng, dass reguläre Sicherheitsunternehmen es nicht wagten, einen traditionellen Ausbildungsansatz zu verfolgen.
Vorgehensweise
In einem ersten Schritt haben wir mit den aktuellen Mitarbeitern genau herausgearbeitet, was die Arbeit in dieser besonderen Situation umfasste. Bald stellte sich heraus, dass es drei Kernaufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden gab: Dienstleistungen für die Fahrgäste erbringen (z.B. auf die Änderung von Abfahrtsgleisen hinweisen oder über Verspätungen informieren), einen Teil des Bahnsteigs schließen (und damit verbunden die Aufforderung der Fahrgäste, sich in Bewegung zu setzen) sowie den gesamten Bahnsteig zu evakuieren oder zu sperren (als "Worst-Case-Szenario"). Mit spezialisierten Sicherheits- und Serviceprofis erstellten wir detaillierte Arbeitsanweisungen für jede dieser Kernaufgaben.
Um das Training so realistisch wie möglich zu gestalten, entschieden wir uns, dass es an dem Bahnhof stattfindet, um den es ging, und zwar an einem Sonntag - traditionell ein ruhiger Reisetag. Die Personenkontrolleure übten in 20-minütigen Sessions auf dem Bahnsteig. Jedes Mal lag der Fokus auf einer bestimmten Aufgabe, mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad. Während des Trainings wurden die Ausführenden gefilmt und sahen sich diese Bilder unmittelbar danach an. Zusammen mit den Trainern betrachteten sie die Bilder sehr genau, die ganze Zeit über mit zwei Fragen im Hinterkopf: 1. Was lief gut? 2. Was kann verbessert werden? Diese Erkenntnisse bildeten die Grundlage, auf der die Teilnehmer dann wieder übten. Sie mussten nicht mehr das tun, was sie bereits konnten, sondern konzentrierten sich ganz gezielt auf das, was für sie noch schwierig war. Dadurch, dass ihr Fortschritt kontinuierlich gemessen und sichtbar gemacht wurde, wuchs das Selbstvertrauen. Indem Aktion und Reflexion aufeinander folgten und sie die Aufgabe, die sie noch nicht gemeistert hatten, wiederholt übten (Prinzip der bewussten Praxis), wurden die Menschen schnell kompetenter, und dies direkt am Arbeitsplatz.
Die Kollegen auf dem Bahnsteig waren nicht die einzigen, die an diesem Arbeitsprozess beteiligt waren. Der Ordnungsdienst wurde vom Kontrollraum aus gesteuert. Dort hatten die Mitarbeiter den Überblick und konnten sich beispielsweise entscheiden, nur einen Teil des Bahnsteigs zu evakuieren. Die Kollegen im Kontrollraum nahmen daher an den Übungen teil und lernten, wie man am besten mit den Kollegen auf den Bahnsteigen kommuniziert. Beide Gruppen konnten sich auch persönlich bei einem professionellen Speed-Date und einem Mittagessen am Ende der Sitzung kennenlernen.
Wirkungen
Nach vier Tagen führte dieser gezielte Trainingsansatz zu 120 geschulten Kollegen in der Personenkontrolle. Sie fühlten sich kompetent und gut vorbereitet, auch weil sie in Worst-Case-Szenarien geschult waren. Da die Kollegen im Kontrollraum ebenfalls teilgenommen und sich auch persönlich kennengelernt hatten, herrschte Frieden und Vertrauen in der Organisation, was dazu führte, dass alle Vorfreude auf die Arbeit verspürten. Die anschließende Einführung des neuen Fahrplans verlief reibungslos.